Legal – Illegal – Scheissegal!
„Graffiti ist Kunst, aber nicht auf unseren Fahrzeugen!“ - damit mag die Deutsche Bahn wohl zum Teil Recht haben, schaut man sich aufwendige Konzeptwände in „Stylehochburgen“ wie Heidelberg an, gefüllt mit aufwendigen Charactern und ausgefeilten Buchstaben, bei denen man vor lauter 3-D-Effekten, Fill-In-Spielereien und neckischen Farbverläufen gar nicht weiß, wo man zuerst hinschauen soll. Auch im illegalen Bereich gibt es durchaus viele Sprüher, deren Werke man in den Bereich der Kunst einordnen kann – und das sogar auf Zügen, womit die forsche Behauptung der DB in Teilen widerlegt wäre. Denn Kunst hängt wohl kaum davon ab, wo sie angebracht ist, auch wenn sie vielleicht Gesetze bricht.
Graffiti kann also künstlerische Ansprüche erfüllen, ohne Zweifel. Doch es gibt da auch noch den egozentrischen, zerstörerischen und archaischen Teil des Sprühens, der nur um seiner selbst Willen existiert und der sich einen Scheißdreck darum schert, ob Lieschen Müller ihn „hübsch“ oder „nett“ findet. Der absolut nicht für ausgefuchste Effekthaschereien und eine technisch makellose Umsetzung bestaunt werden will. Der sich keine versteckten Wände in Abrissgebäuden mit „nicer Atmo“ sucht, sondern der eine rohe und impulsive Wut in Form von Buchstaben verkörpert. Der für seine Urheber ein effizientes Ventil zum Ablassen lang angestauter Aggressionen darstellen, aber auch einfach nur für Spaß und Action stehen kann. Dreckig gefüllte Chrombuchstaben mit verrissenen Outlines an der gerade erst fertig renovierten Jugendstilfassade - echt ärgerlich. Mannshohe Tags, für die seitens der Aerosolindustrie extra hergestellte „Ultrawide-Dosen“ genutzt wurden – ohne Stil, ohne Klasse, scheinbar ohne Talent. Keine versteckte Botschaft, keine Qualität, nur mutwillige Zerstörung.
„Schmierereien“, die Wutbürger verschiedenster Art in dem Wunsch nach härteren Strafen („Hände abhacken“) und der Sehnsucht nach verständigeren Motiven („Können die nicht mal was mit Blumen sprayen ???!?!?“) einen, wenn jene ihrem Unverständnis über das Gekrakel in den Kommentarspalten diverser Kleinstadt-Lokalnachrichtenseiten Luft machen.
Ja, es ist verständlich, derartige Auswüchse der Sprüherkultur nicht nachvollziehen zu können. Ja, man darf das ruhig scheiße finden. Aber JA (!), es macht auch verdammt viel Spaß, mit 2,4 Promille auf dem Tacho mal so richtig abzusaften und die Dose einfach machen zu lassen. Rumrotzen bis die Schwarte kracht, aufgebrachten Passanten ein beherztes „Fick dich, Opa!“ entgegen zu schleudern und direkt die nächste Kita-Fassade maß zunehmen, bis die Kanne leer ist – nur um dann mit einem Stein weiterzumachen und seine verkräpelten Buchstaben großflächig in Schaufensterscheiben zu kratzen. Und ja, wenn man dann auf dem Weg zum Döner am nächsten Tag verkatert über die „Werke“ der letzten Nacht stolpert, beschleicht einen vielleicht schon irgendwie das schlechte Gewissen, welches aber direkt plattgemacht wird von dem triumphalen Gefühl, sich mal wieder so richtig selbst gehört und auf so einiges geschissen zu haben.
Und übrigens, liebe Leserinnen und Leser, die Typen, die mit Liebe zum Detail Konzeptwände an der legalen Wand am Sportplatz fabrizieren, sind oft sogar die gleichen, die ihre kaum lesbaren Suff-Hieroglyphen Fassaden übergreifend in die Fußgängerzone schmieren.
Text: Sore (Halle/Leipzig)